Ägypten – die neue Drehscheibe für illegale Einwanderer, die nach Europa fliehen wollen. Viele Migranten brechen von den Stränden in Alexandria auf und begeben sich in die Hände von Schleppern, um das Mittelmeer zu überqueren. Sie flüchten vor den Kriegen in Syrien, im Irak oder in Darfur. Laut den Zahlen der Vereinten Nationen gelangten in diesem Jahr bisher doppelt so viele Migranten nach Europa wie im Vorjahreszeitraum. Aber was ist mit denen, die nicht so weit kamen? Unser euronews-Reporter traf einige von ihnen im Auffanglager von Alexandria.
Wie Amera Khalil. Sie wurde mit ihren vier Kindern vor zwei Wochen auf offener See von den ägyptischen Behörden gefasst. Sie erinnert sich, “in Darfur hat mir niemand geholfen. Niemand hat sich gekümmert. Dann bin ich mit meinen Kindern hier hergekommen. Ich habe meine Papiere dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte in Ägypten gegeben. Ich bin mehrmals in den Büros gewesen. Dort konnte mir niemand weiterhelfen, niemand konnte mir sagen, was aus meinem vermissten Mann in Darfur wurde.”
Nagham Rezqallah kommt aus Bagdad, wo sie ihren kranken Ehemann zurücklassen musste. Auch sie versuchte, mit ihren zwei Kindern zu flüchten. “Ich habe Höllenqualen ausgehalten und habe mich zu der Reise und der Überfahrt durchgerungen. Meine Kinder und ich haben unser Leben riskiert, um vor Armut und Krieg im Irak zu fliehen, damit mein Sohn und mein Mann ärztlich versorgt werden können. Doch alle Hoffnungen haben sich zerschlagen,” meint sie.
Am 10. September kam es zur bisher schlimmsten Tragödie im Mittelmeer: 500 Bootsflüchtlinge ertranken bei Malta. Die Überlebenden erzählten, dass ihr Boot von einem Schlepperschiff gerammt wurde, als sie sich weigerten, auf ein kleineres Boot umzusteigen. Die Schlepper machten sich aus dem Staub.
Walaa Albarkawi verließ Damaskus mit ihren zwei Söhnen und kam vor einem Jahr mit einem Touristenvisum nach Ägypten. Ihr Mann ging am 6. September mit einem Flüchtlingsschiff vor Damiette unter. Seine Frau beklagt, “ich rief den Schlepper an und er sagte, mein Mann sei tot. Da bin ich zusammengebrochen. Ich wollte wissen, was genau passiert ist. Dann fiel mir ein, dass das Boot von Anfang an eine Art Zankapfel unter den Schlepperbanden war. Es gab jede Menge Probleme, die auch mein Mann mitbekommen hat.”
Die ägyptischen Behörden geben zu, dass es auf ihrem Territorium mafiöse Schlepperbanden gibt. Eine Überfahrt kostet zwischen 2.000 und 4.000 Euro pro Person. Rasha Almasri ist Syrerin erzählt von ihrer Odyssee: “Wir waren eine Woche auf See. Wir haben so viel durchgemacht. Sieben Tage vertrösteten uns die Schmuggler und sagten, es ginge morgen los. Aber sie brachten immer mehr Migranten an Bord. Auf einmal war der Motor kaputt, wir saßen fest. Dann kam ein ägyptisches Kriegsschiff und brachte uns hier hin.”
Zu einem der Schlepper in Alexandria konnte unser euronews-Reporter Kontakt aufnehmen. Diese Frau gehört dazu, ihre Familie besitzt viele Fischerboote. Sie erklärt das System: “Die Schlepper fahren in ein anderes Land und kaufen dort ein Boot, angeblich zum Fischen. Dann beginnt der Abfahrprozess von einem Land ins nächste. Dabei hält das Schiff auf dem Meer in einer bestimmten Gegend. Die Migranten werden zur Küste gebracht, dann beginnt die illegale Reise. An einigen Stellen gibt es keine Küstenwachen. Die Schlepper kommen mit kleinen Booten, um die Migraten auf das große Schiff im Meer zu bringen.”
Die Einschätzung des euronews Reporters Mohammed Shaikibrahim: “Sie verließen ihre Heimat, nachdem sie dort ihre Hoffnung auf ein normales Leben verloren hatten. Ihr Blick wandert zu den vielversprechenden Stränden in Europa. Doch ihre Schiffe stoßen auf jede Menge Gegenwind. Viele ertrinken oder bleiben vermisst, andere werden vor Ort von der Realität eingeholt.”