9. November 1989: "Man glaubte nicht, dass an diesem Tag so etwas Wichtiges geschehen würde"

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Es brodelt in Berlin: Fünf Tage vor dem Mauerfall haben sich in Ostberlin rund eine Million Menschen versammelt. Die Demonstranten fordern Reformen und Pressefreiheit.

Monatelange Proteste und die Massenflucht unzufriedener DDR-Bürger waren vorausgegangen, als der SED-Funktionär Günter Schabowski am 9. November 1989 bei einer Pressekonferenz in Ostberlin verfrüht eine neue Reiseregelung bekannt gab – und ungewollt Fakten schaffte.

Journalist und Zeitzeuge Jochen Sprentzel erinnert sich an den folgenschweren Tag: “Dann ganz plötzlich, ich war schon bei den Vorbereitungen für die Sendung, in der Maske und beim Einleuchten usw., sagt der Redakteur: ‘Richte Dich mal darauf ein, die Mauer ist offen, der Momper, der Regierende Bürgermeister damals, kommt gleich ins Studio.’ Ich sagte: ‘Jetzt machen wir erst mal ganz in Ruhe eine schöne Sendung – und dann machen wir Scherze.’ ‘Nein, nein, Du wirst gleich sehen, wir spielen Dir mal was ein.’ Und dann spielten die mir diese Schabowski-Erklärung, diese berühmte Zettelage da ein. Die Reisegenehmigung usw. und ich war natürlich total platt, wir hatten eine ganz andere Sendung konzipiert. Man glaubte nicht, dass an diesem Tag so was Wichtiges geschehen würde. Nur diese eine halbe Stunde, diese Sendung – dazu noch so improvisiert und kurz nach Schabowskis Erklärung, das ist wichtig auch mal für die Enkelkinder. Das ist etwas Bleibendes und deshalb für mich als gebürtigen Berliner der absolute Höhepunkt meiner Karriere.”

Niemand konnte sich vorstellen, dass die innerdeutsche Mauer fällt. Der Korrespondent des russischen Fernsehens Vyacheslav Mostovoy erinnert sich an den legendär gewordenen Auftritt Günter Schabowskis: “Es war gegen Ende der Pressekonferenz. Zuerst hatte Schabowski nur ganz allgemein gesprochen. Gegen Ende sagte er: Heute hat man die Entscheidung getroffen, die Grenze zu öffnen. Totenstille im Saal. Hinter uns sprang jemand auf und lief aus dem Saal. Wir alle kannten die Grundsätze der ostdeutschen Politik, deshalb kam das völlig überraschend.”

Die Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Alle wollten wissen, was los ist und gingen zur Mauer. Noch am selben Abend stürmten die Ostberliner die Grenzübergänge, wo die Grenzposten vor
dem Massenandrang kapitulierten und die Tore öffneten.

“Mein Kollege Alexander Masliakov, ein bekannter russischer Nachrichtensprecher kam nach Berlin. Wir wollten etwas für sein Programm drehen. Wir sind mit dem Kameramann zum Brandenburger Tor gegangen. Dort begann er, zu filmen. Auf einer Bank auf dem Boulevard Unter den Linden saßen einige Leute. Dann haben uns zwei Personen angesprochen und uns gefragt, ob wir eine Erlaubnis zum Filmen hätten. Sie haben uns gesagt, ohne Drehgenehmigung könnten wir nicht einfach so filmen. Mein Kollege war sehr überrascht”, so Mostovoy.

Die Grenzsoldaten wurden ebenfalls von den Ereignissen überrascht. Niemand hatte ihnen Instruktionen gegeben.

“Ich war am Steuer. Wir hatten das Dach offen. Der Kameramann stand im Wagen und filmte. Es war unvergesslich. Um uns herum jubelten die Menschen und klatschten in die Hände. Es war egal, wer im Auto saß, die Menschen waren so begeistert, dass sie allen applaudierten, die die Grenze passierten, sie jubelten und weinten vor Glück”, erinnert sich Mostovoy.

Jochen Sprentzel: “Ich hatte mir zwei Tage zuvor beim Joggen den Knöchel gebrochen. Und bin mit Krücken und Gipsbein zur Moderation, zum Sender gegangen, sehr mühsam. Ich konnte Gott sei Dank sitzen, man sah also nichts von dem Gipsbein, dann wieder nach Hause.
Dann habe ich zu meiner Frau gesagt: Jetzt müssen wir aber schnell den Fernseher anschalten. Da hat die gesagt: Hör mal, Fernseher ist jetzt nicht. Wir fahren jetzt zur Grenze, ob Du ein Gipsbein hast oder nicht, da musst du mit deinen Krücken schon hingehen. Und es war genau die richtige Entscheidung. Und es war, als wäre die ganze Nacht Rushhour in Berlin gewesen. Und dann war ein Menschenauflauf, uns kamen schon die Trabis entgegen. Es war eine Volksfeststimmung hüben und drüben. Man sah die Mauer, auf der die Leute tanzten. Es war unglaublich. Und es ist eigentlich auch jetzt 25 Jahre nachher kaum zu beschreiben, was das in den Menschen ausgelöst hat.”

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